Freiheit
Auf der Suche nach Mehr ∆
Zunächst ein kleiner Funke, dann ein loderndes Aufflackern und schließlich eine erleuchtete Lichtgestalt. Ließe die Elementen-Lehre, nach dem antiken Philosophen Thales von Milet, es zu, dem Prinzip der Freiheit eine der vier Grundessenzen zuzuordnen, so könnte das Feuer eine geeignete Zuschreibung bieten. Schließlich ist es das einzige Element, dessen Beständigkeit auf drei notwendigen Bedingungen beruhen: Einem geeigneten Brennstoff, Sauerstoff und nicht zuletzt einer Zündenergie, jenem Funken, der dafür sorgt, dass eine chemische Kettenreaktion in Gang gesetzt wird, an dessen Ende, das steht, was ungebrochen jeden Menschen in seinen Bann zieht. Darüber hinaus muss, um das Feuer entstehen zu lassen, die genannten Bedingungen in zeitlicher und räumlicher Koinzidenz stehen. Das bedeutet, dass nur der günstige Augenblick in Verbindung mit den richtigen Umgebungsvariablen das Entstehen des Feuers ermöglichen. Mit der Freiheit verhält es sich gleichermaßen, doch dazu später mehr.
Es ist zu fragen: Besitzt Freiheit, nicht ebenso wie das Feuer einen scheuen und unsicheren Charakter, der hochsensibel auf seine äußeren Einflüsse reagiert und anfällig für seine Umwelt ist? Denn versucht man es zu fassen, weicht es zurück. Bleibt man zu lange in seiner Nähe und gerät in seine Fänge, kann es einen förmlich verschlingen.
Doch zuweilen bieten Freiheit und Feuer, in richtiger Dosierung, eine schützende, wärmende, gar erleuchtende Sinndarbietung. Falsch angewendet oder in zu hohen Dosen verabreicht, scheinen beide jedoch jene Kräfte zu entfalten, die ganze Städte in Brand versetzen. Wer den Filmklassiker „Quo Vadis“ nach dem Roman von Henryk Sienkiewicz gesehen hat, kann deutlich erkennen, dass sich der Brand Roms bis in die Popkultur der Neuzeit entfaltet hat. Peter Ustinov, in der Rolle des Nero, steht seiner vom Wahnsinn beseelten Hybris der von ihm geschaffenen Welt förmlich ins Gesicht geschrieben, als er mit seiner Lyra das flammenverzehrte Rom besingt. Despoten und Machthaber dieser Typologie finden sich leider nach wie vor in einflussreichen Ämtern, was eine sarkastische Auslegung in einer vermeidlich aufgeklärten Gesellschaft durchaus zulassen könnte. Daher besitzt Feuer auch immer eine vernichtende Kraft, die vorhandene Ressourcen bis zum Erlischen verzehren kann.
Um das Gleichnis zwischen Freiheit und Feuer abzurunden, verbunden mit dem Versuch, die eigentliche Thematik der Freiheit einzuleiten, möchte ich noch einmal auf den ursprünglich genannten Funken eingehen. Der Funke, jenes glühende Teilchen kann metaphorisch gesprochen, als ersten Schritt eines Wachstumsvorganges beschrieben werden. Der allererste Funkenschlag des Lebens, in Form eines kurzen Lichtblitzes, entsteht sobald das Spermium in die Eizelle aufgenommen wird. Dieser erste Lebensfunken kann auch als Ereignis gedeutet werden, bei dem die Zelle mit neuem Leben beseelt wird. Interessanterweise gibt es in diesem Zusammenhang den Versuch die menschliche Seele nicht nur zu lokalisieren, sondern konkret auch mit einer Gewichtsangabe zu vermessen. Nach einer umstrittenen Studie im Jahr 1907, hat der Arzt Duncan MacDougall versucht die Seele des Menschen vor, während und nach dem Ableben gewichtsmäßig zu erfassen. Seinen Ergebnissen zufolge, lokalisiert sich die Seele des Menschen im Gehirn und lässt sich gewichtsmäßig auf 21 Gramm beziffern (Walcott 1907).
Der nächste Funkenschlag, der uns im Laufe unseres Lebens begegnet, wird von einem elterlichen Umgang ausgelöst. Fürsorge, Liebe und Geborgenheit sind Sinneswahrnehmungen, die wir unmittelbar durch den Umgang mit unseren Eltern erfahren und erlernen. Geht es nach der griechischen Gottheit Eros, so trifft uns im späteren Verlauf der Bannstrahl der Liebe und entfacht in uns Menschen eine eigenständige Gravitation, stetig genährt durch Leidenschaft, Intimität und feuriger Lust. Auch ein Funke der Disharmonie hat seine Bedeutung. Wer sich mit Adoleszenten und dieser ganz besonderen Lebensphase beschäftigt, weiß, dass Unabhängigkeit und Abnabelung mitunter nur durch Missklänge und konstruktive Konflikte möglich ist. Letztlich bleibt noch ein weiterer Typ zu erwähnen, der auf die kreativen Einfälle zurückgeht. Jenem, dem vergönnt ist einen geistigen Funken zu empfangen, den schickt es zu vielfältigen, schöpferischen Höchstleistungen oder künstlerischen Kreationen an.
Eines jedoch eint alle die beschriebenen Funkentypen, jeder Mensch erfährt diese auf äußerst individuelle Weise. Entschließt man sich der Funkensymbolik zu folgen, so erkennt man den identitätsstiftenden und persönlichkeitsformenden Charakter, den ein Funke jedweder Art auslösen kann. Notwendig zum Erkennen ist lediglich ein wacher, lernfreudiger und kritischer Geist, der geweckt werden will. Der antike römische Dichter Horaz verfasste in seinen Briefen (Episteln) 20 v. Chr. einen moralischen Leitsatz, der später durch Friedrich Schiller und Immanuel Kant in abgewandelter und verkürzter Form bekannt wurde. Ursprünglich lautet dieser: „Dimidium facti, qui coepit, habet: sapere aude, / incipe“. Nach dem klassischen Philologen Rudolf Helm übersetzt bedeutet dies: „Einmal begonnen ist halb schon getan. Entschließ dich zur Einsicht! Fange nur an!“ (Helm 1962). Jene dargelegte Einsicht zeigt in sinnbildlicher Sprache auf, wo sich der eben skizzierte Funke verorten lassen könnte – in einem selbst.
Nun könnte man sagen, dass es zwischen der Funkensymbolik und dem gedanklichen Komplex der Freiheit kaum Überschneidungen gibt. Dem ist jedoch nicht so. Zum einen besitzen beide eine sehr vielfältige, kontextbezogene Ausprägung. Zum anderen berühren beide eine sehr subjektive Ebene des Menschseins. Das Subjekt im Kontext zu Freiheit und den damit verbundenen Einflüssen ist also näher zu erläutern. Als mögliche Thesen zur Selbstentfaltung eines Individuums, sowie dem damit verbundenem Entsagen von Zwängen aus konkreten Lebensumständen, soll der Freiheitsgedanke nun in Umfang und Tiefgang in drei Kapiteln eingefasst werden:
- Kapitel 1 – Freiheit als Begriff
- Kapitel 2 – Freiheit als Wert
- Kapitel 3 – Freiheit als Lebensstil
Kapitel 1 – Freiheit als Begriff
Um den Themenkomplex Freiheit umfänglich darstellen zu können, bedarf es vor allem einer semantischen Einordnung. Diese soll im Folgenden zum einen durch die Einführung einer Subjekt-Objekt-Beziehung dargestellt und zum anderen in das Geflecht von artverwandten Begriffen metaphorisch eingewoben werden.
Was sind freiheitliche Wesensmerkmale?
Der Begriff Freiheit kann als Bündel von Eigenschaften und Ambivalenzen verstanden werden. Schlägt man den Begriff Freiheit im Brockhaus nach, so erhält man folgende Definition:
„Der Freiheitsbegriff spielt eine zentrale Rolle bei der Charakterisierung und Abgrenzung dessen, was wir als Handlungen (im Unterschied zu bloßen Körperreflexen oder zu Naturvorgängen) ansehen. Von seinem Verständnis hängt es ab, ob wir glauben, für unser Handeln verantwortlich zu sein und ob wir uns als selbstständig Handelnde betrachten dürfen“ (Brockhaus 2022).
Folgt man dieser Beschreibung, so ergeben sich für den Freiheitsbegriff interessante Wesensmerkmale.
Zum einen besteht Freiheit nicht kontextfrei im luftleeren Raum, sondern bedarf zunächst einem Subjekt, das sich oder andere als „handelnd“ wahrnehmen kann. Demnach sind leblose Naturvorgänge aufgrund ihres abstrakten und nicht-subjektivierbaren Charakters keine Subjekte und können als solche auch nicht in Erscheinung treten. Der Mensch, also das Erkenntnissubjekt, steht dem Objekt, dem sinnlich gegebenen oder auch geistigem Gegenstand, das außerhalb des Subjekts besteht, gegenüber.
Dieses, im abendländischen Denken verankerte Subjekt-Objekt-Problem, stellt eines der fundamentalen erkenntnistheoretischen Konzepte dar, mit dem sich Neuplatonisten wie Plotin seit der Spätantike beschäftigen. Fest steht, der Handlungsrahmen und damit die Interaktionsfähigkeit von Objekten wird durch Subjekte, wie den Menschen erst erkannt und gegeben.
Das andere Wesensmerkmal bezieht sich auf das vorausgesetzte und notwendige Verständnis, also dem Erkenntniswerkzeug, welches das Subjekt erst in die Lage versetzt, seine Umwelt wahrzunehmen, zu erkennen und für Eigen- und Fremdhandlungen verantwortlich zu sein. Immanuel Kant schreibt im Zusammenhang mit der von ihm begründeten Transzendentalphilosophie dem Wahrnehmen und Erkennen zwei Merkmale zu. Einerseits lassen sich dem Subjekt Anschauungsformen durch Raum und Zeit zuweisen, so ergeben sich Verstandesformen, die konstitutiv das Objekt erst erscheinen lassen. Auf der Nadelspitze betrachtet, können Menschen „nur dasjenige von den Dingen a priori erkennen, was sie selbst hineingelegt haben“ (Kant 2020). Hierbei ist wichtig, dass die angesprochene Transzendentalphilosophie nicht „Transzendenz“ also einer übersinnlichen Eigenschaft, nach Nietzsche eine „Hinterwelt“ meint (Gerhardt 2013). Vielmehr geht es Kant um eine Grammatik der Erkenntnis, die „a priori“ den Strukturen und Objekten als Erkenntnisakt vorausgeht. Moderne naturwissenschaftliche Messapparaturen, die im Bereich der Quantenphysik eingesetzt werden, lassen in diesem Zusammenhang das Gefüge zwischen Subjekt und Objekt noch einmal neu denken, doch soll dieser Aspekt in diesem Werk nicht weiter ausgeführt werden. Wesentlich ist, dass es leblosen Objekten, Gegenständen ihrem Ursprung nach nicht vergönnt ist selbst zu erkennen. Nur Subjekten, also fühlenden Wesen, insbesondere der Mensch, ist imstande zu erkennen und im Austausch mit anderen erkannt zu werden.
Nun ist der Freiheitsbegriff nicht ausschließlich und absolut zu fassen, sondern steht auch in Referenz zu anderen Themenkomplexen.
Der relative Aspekt der Freiheit erläutert sich wie folgt. Das Subjekt selbst ist, in seiner Umgebung, an Nahrung, Raum und Ressourcen gebunden. Zudem unterliegt es zeitlichen, begrenzten Bedingungen, welche unter anderem auch von anderen Subjekten abhängig sind. Dies lässt den Schluss zu, dass Freiheit auch als Mechanismus eines Interessensausgleichs zur Ressourcenverteilung zwischen verschiedenen Subjekten dienlich sein kann. Der entsprechende Umgang mit Freiheit entsteht hier im Kontext einer gesellschaftlichen Akzeptanz, die sich in stetem Wandel durch das Abwägen bewährter Prinzipien mit veränderten Bedingungen ausdrückt. Im Anfang steht, im Gegensatz zu Göthes Faust, hier nicht das „Wort“, sondern eine Idee des beseelten Individuums oder einer Gruppe, welche das Bedürfnis zur Verwirklichung dieser Idee empfindet. Die Verwirklichung dieser Idee geht immer mit einer Zustandsänderung als Erfahrung aller Beteiligten Individuen einher und führt unweigerlich zu einer veränderten Umgebung und deren Gesellschaft.
In Hinblick auf artverwandte Begrifflichkeiten lässt sich folgendes festhalten. Eine trennscharfe Differenzierung zu artverwandten Begriffen wie Unabhängigkeit und Autonomie fällt sehr schwer und soll auch nicht Hauptgegenstand der Untersuchung sein. Vielmehr ist auffällig, dass Freiheit sich schwerlich ohne die Begriffe Persönlichkeit und Authentizität fassen lässt. Unter Zuhilfenahme einer gewissen metaphorischen Einordnung soll daher der Versuch unternommen werden, Freiheit in einen gemeinsamen Sinnzusammenhang einzuweben, bei dem die genannten Begrifflichkeiten zunächst einzeln erläutert und dann in einen erweiterten Zusammenhang gestellt werden.
Worin besteht Unabhängigkeit?
Die einzigartige Strahlkraft von Unabhängigkeit ergibt sich zunächst durch den stark verbundenen Rechtscharakter. Es gibt das Recht auf Unabhängigkeit von Völkern, eines Landes, oder eines Staates, oft spricht man hiervon auch als Souveränität. Das wohl bekannteste Dokument, in Bezug auf Unabhängigkeit, wurde 1776 von Vertretern des amerikanischen politischen Systems und Denkens unterzeichnet und bildet bis heute den Kern der amerikanischen Identität. In der „Declaration of Independence“ finden sich Schlüsselwörter wie Freiheit, Gleichheit und Gemeinwohl, die sehr stark einem aufgeklärten, europäischen Gedankengut entspringen, das zur Zeit des 18. Jahrhunderts eher als Gegenreaktion auf das vorherrschende ancien régime zu verstehen sind. In diesem Kontext könnte man Unabhängigkeit als verbriefte, rechtsverbindliche Freiheit ansehen, die einer größeren Gemeinschaft zugutekommt. Die Verbindlichkeit dieses Rechtsrahmens sollte nun nicht als dogmatisch empfunden werden. Vielmehr soll es als Beispiel eines gesellschaftlichen Narrativs verstanden werden, der sich eine bestimmte Wertegemeinschaft zu einer bestimmten Zeit verschrieben hat. Eine regelbasierte Weltsicht sollte, unter Betrachtung derjenigen Subjekte welche die Regeln aufstellt, kontextualisiert und differenziert betrachtet werden. Hierbei ist auch wichtig zu verstehen, wie die Regelrezipienten ein solches Regelwerk verstehen könnten. Gibt es Ausgleichsmechanismen zwischen den Subjekten? Wie lassen sich Rechte auf andere ableiten? Wie ist das Verhältnis von Gerechtigkeit und Recht? Entfaltet sich Freiheit im Interessensausgleich der Subjekte? Wie lässt sich eine geeignete Weiterentwicklung des Rechtsbegriffs ermöglichen. Insbesondere diese Weiterentwicklung lässt sich nur durch entsprechende Kommunikation, Kooperation und Koordination aller Subjekte erreichen. Schließlich haben persönliche Freiheiten Einzelner immer auch Einfluss auf die Interessen und Bedürfnisse anderer Individuen. Die Wahrnehmung und Akzeptanz dieser Interessen ist essenziell im Kontext eines geeigneten Ausgleichsmechanismus.
Wesentlich ist zu erkennen, dass unter der Vergabe eines allgemeingültigen Regelwerkes, welches gegenseitig anerkannt und umgesetzt wird, unabhängiges Denken und Handeln ermöglicht und gefördert werden sollte. Freiheit und Unabhängigkeit gehen ein einzigartiges, symbiotisches Verhältnis miteinander ein, welches durch Regeln legitimiert und durch Ordnung zum Ausdruck gebracht wird. Voraussetzung hierfür ist eine auf das Individuum bezogene geistige Stärke und eine gesunde Portion Selbstbewusstsein. Was, wenn falsch dosiert, auch zuweilen für Irritation führen kann. Ein wenig anders verhält es sich mit der Autonomie.
Was ist Autonomie?
Der Begriff der Autonomie ist mannigfaltig und tritt in den unterschiedlichsten Gestalten auf. Ursprünglich der griechischen Sprache entnommen, bedeutet Autonomie im Kontext der Psychologie direkt übersetzt „Eigengesetzlichkeit“. Der Person, oder abstrakt gesprochen Systeme, wird Autonomie zuerkannt, wenn es von innen heraus Bestimmungsgründe für das eigene Handeln gibt. Diese Thematik lässt sich auf drei unterschiedliche Ebenen aufgliedern.
Zum einen ist, nach der Theorie von Immanuel Kant, das Individuum im Kontext zu seinem Souverän zu sehen, der von außen das Handeln des Individuums durch Handlungsmaximen eingrenzt. Zum anderen kritisiert der Behaviorismus den Kant’schen Charakter der Autonomie und zeichnet den Menschen eher als fremdbestimmt (heteronom). Friedrich Nietzsche, Karl Marx und Sigmund Freud sind Vertreter dieser Auffassung, welche die Anschauung vertritt, dass der Mensch eher durch Reize bestimmt und letztlich durch äußerliche Einflüsse manipulierbar sei. Erst der humanistischen Psychologie gelingt es, eine Brücke zwischen beiden Lagern zu schlagen, indem sie Autonomie nicht als dichotomisches Attribut, sondern als Erklärungsprinzip versteht, welches den Menschen in einem komplexen Mensch-Umwelt-Gefüge abzubilden versucht.
Es bleibt, zu untersuchen, was den Unterschied zwischen Freiheit und Autonomie darstellt. Wie eingangs erwähnt, kennzeichnet Autonomie den Gesichtspunkt der „Eigengesetzlichkeit“ oder präziser der „Selbstgesetzgebung“. Das Individuum besitzt, zumindest nach der Kant’schen Auffassung von Autonomie, die Fähigkeit, selbstbestimmte Regeln, oder normative Gesetze zu erlassen, die sein Handeln und seine Freiheit unmittelbar daran binden. Im künstlerischen Sinn könnte man Autonomie als Motiv einer Zeichnung und Freiheit als Rahmenwerk verstehen. Schützenswert ist beides. Jedoch ist nur Autonomie, aufgrund seiner Wesenszüge, in der Lage von innen heraus gezeichnet und durch die Einfassung der Freiheit gerahmt zu werden.
Verlässt man die Ebene des Individuums und überträgt man diese Gedanken auf das Konzept einer Gemeinschaft und eines Staates, erkennt man die Stärke der Autonomie über die Freiheit. Ein freier Staat benötigt als Voraussetzung, um frei sein zu können, Autonomie. Autonomie wiederum definiert und beansprucht als Werte- und Regelgemeinschaft jede Gruppe selbst und fordert danach seine Freiheit gegenüber anderen ein. Will man die Freiheit eines Staates beschneiden, so sind Kränkungen und Verwerfungen seiner Autonomie unausweichlich. Historische und neuzeitliche Beispiele dieser Art werden von vielen Schicksalen erzählt. In diesem Narrativ mangelt es am Willen zum Erkennen von gegensätzlichen Interessen, welche immer auch eine Einschränkung der Autonomie bedeuten könnte. Hier ist ein geeignetes Maß an Interessensausgleich von Nöten, welche die Werte andersdenkender Individuen mit einbezieht.
Nun könnte man meinen, dass eine jene Gemeinschaft, wenn gut aufeinander abgestimmt, seine einzelnen Mitglieder nach innen Freiheit garantiert und nach außen Schutz bietet. Letzteres kann für einen kurzen Zeitraum, beispielsweise bei Bedrohungen von äußeren Gefahren stimmen, Freiheit jedoch garantiert sie wiederum nicht. Fest steht, Autonomie und Unabhängigkeit setzen die Anwesenheit eines Subjektes voraus. Jedoch gelten nicht alle Regeln und Gesetze auch für alle Subjekte, sondern bedürfen einer näheren Betrachtung. Diese soll am Begriff der Persönlichkeit näher beleuchtet werden.
Wie verhält es sich mit der Persönlichkeit?
Im Art 2. (1) des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland steht seit seiner Ausfertigung im Jahr 1949 geschrieben: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ (Art 2 Absatz 1 GG). Auffällig wird die Formulierung, wenn man sich die Wirkrichtung verdeutlicht. „Entfaltung“ deutet auf eine von innen heraus entfaltender, gar aufblühender Bedeutung hin. Natürlich unterliegt diesem Gedanken auch eine Notation von Einschränkung, da der Bürger an dieser Stelle Teil einer Gesellschaft ist. Dennoch bleibt zu untersuchen, nach welchen Regeln und Mechanismen die Entfaltungsmöglichkeiten in unserer heutigen Gesellschaft ablaufen.
Zunächst ist zu sagen, dass Persönlichkeit den Fokus auf den subjektiven, den individuellen Eigenschaften einer Person setzt. Sie ist geprägt durch Eigensinn, Sitte und gesellschaftlicher Erziehung und entwickelt sich im Laufe der Zeit stets weiter. Auch dies ist nicht als dogmatischer Ansatz zu verstehen, sondern vielmehr als Leitfaden für freiheitliches Denken im Kontext eines Interessensausgleichs zwischen Individuen. Man könnte annehmen, dass im letzten Jahrhundert, vornehmlich in der westlichen Welt, Menschen weniger durch Eigensinn, also das, was einen eigenen, inneren Sinn besitzt, bestimmt worden sind, als vielmehr durch gesellschaftliche Erziehung. Öffentliche Schulbildung setzt weniger auf das Finden der eigenen Persönlichkeit als vielmehr auf eine gleichartige und gleichwertige Bildung für viele. Kritisches Denken und das Erkennen von gesamtheitlichen Strukturen werden im öffentlichen Raum wenig bis gar nicht kultiviert. Doch ist es gerade die junge Lebensphase, das Finden des eigenen Sinnes, neudeutsch mit „Purpose“ übersetzt, die das weitere Leben so sehr prägt.
Am Orakel von Delphi stand einst der von Sokrates geprägte Satz „Erkenne Dich selbst“. Diese Grundmaxime zielt auf das Erkennen der eigenen Persönlichkeit ab und kann als Aufforderung verstanden werden, sich nicht selbstsüchtigen Äußerlichkeiten hinzugeben und stattdessen eine eigene, innere Haltung zu entwickeln. Leider hat es den Anschein, dass der heutige Zeitgeist diesem zuwiderläuft.
Der Einzelne scheint in der Menge unterzugehen, oder wie Peter Rosegger es treffend formulierte „In dem Maße, als der Mensch nach außen sich frei entwickelte, wurde er im Innern unfrei, das Individuum löste sich in der Masse auf.“ (Rosegger, 1899). Freiheit wird vielmehr durch Gleichheit ersetzt, mit der Folge, dass die einem innewohnenden Prinzipien Gefahr laufen, sich aufzulösen. Dies ist unter der Perspektive Rosegger’s seiner Zeit zu betrachten. Rosegger war, durch die im Vergleich zur heutigen Welt, stärkeren Begrenzung technologischer Mittel und Ressourcen geprägt. Aus diesem Mangel an Möglichkeiten zur freien Entfaltung, sollte die Aussage daher Gedankenanstoß dienen, nicht als konkreter Vergleich zum heutigen Weltgeschehen.
Technologische Entwicklungen, wie das Internet oder das Voranschreiten der Künstlichen Intelligenz sind in den letzten Jahrzehnten zu modernen, erzieherischen Kräften herangewachsen, die stark auf den sozial-psychologischen Aspekt des Menschseins abzielen. Die Bedürfnisse des Individuums erscheinen innerhalb moderner Technologien wie ein verkürztes Abbild, dargestellt in mathematischen Gleichungen, vernebelt hinter Zahlenwolken. Da selbst der performanteste Algorithmus aber nicht alle individuellen Eigenschaften abbilden kann, den Menschen in seiner von Widersprüchen durchzogenen Komplexität gar nicht verstehen vermag, so kommt Persönlichkeit und die eigentliche Triebfeder des Menschen, sein Eigensinn zu kurz. Freiheit in diesem Zusammenhang entsteht also nicht im Aufgehen in einer virtuellen Gemeinschaft oder im Konsum von Gütern, sie wird auch nicht durch wirtschaftliche Freiheit in einem System bestimmt. Vielmehr ist sie Voraussetzung für Kreativität, welche wiederum Hauptantriebskraft für eine Fortschrittsidee in einer Gesellschaft sein kann. Dieses Fortschreiten, verbunden mit dem Wachstum einer Gesellschaft, kann zum einen zu verbesserten Lebensumständen führen. Zum anderen sollte dies jedoch auch unter der Betrachtung einer endlichen, ökologischen Mittelverwendung heraus gesehen werden, welche, aus Ermangelung an Schutzmaßnahmen, auch zur Verschlechterung beitragen kann. Die Nutzung der ökologischen Ressourcen steht also in einem besonderen, wenn auch indirektem Zusammenhang mit dem Freiheitsbegriff.
Abschließend kann man festhalten, dass Freiheit und Persönlichkeit keine dichotomischen Gegensätze bilden und es daher keinen Sinn ergibt Begrifflichkeiten zu trennen. Auch sie formen eine symbiotische Gemeinschaft, in der Persönlichkeit entsteht, wenn der Menschen, durch Eigensinn genährt, als Individuum frei ist.
In welchem Spannungsverhältnis, das eingangs zitierten Grundgesetzes und seiner Bedeutung zur dargelegten modernen Gesellschaft besitzt, bleibt dem geneigten Leser selbst überlassen. Fest steht, Persönlichkeit und deren Entfaltung ist ein kostbares Gut, ohne das ein gesellschaftliches Miteinander nicht vorstellbar ist. Bleibt noch eine letzte Begrifflichkeit, die der Authentizität.
Was ist das Wesen der Authentizität?
Der Ruf von Authentizität eilt seiner Bedeutung voraus. Hört man den Begriff Authentizität, vermittelt sich direkt eine sehr positiv besetzte Eigenschaft. Der Kulturwissenschaftler Erik Schilling definiert in seinem Buch „Authentizität – Karriere einer Sehnsucht“ wie folgt: „Authentizität ist: wenn die Erwartung, die jemand hat, übereinstimmt mit dem, was er wahrnimmt“ (Schilling, 2020). Interessanterweise sagt das zumeist nichts über das aus, was man als authentisch bezeichnet. So ist zum Beispiel eine Kritikeraussage, dass die Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte „authentisch“ aufgeführt sei, kein wahrhaftiger oder objektiver Befund. Vielmehr ist es eine subjektive Einschätzung, gemessen an den persönlichen und subjektiven Erwartungen des Rezipienten. Kulturelle Gepflogenheiten, individuelle Sozialisation und Habitus, können den Blick auf die Dinge schärfen, trüben oder mitunter ganz neu einfärben. Jedoch kann ein aufgeklärter Kritiker, um im Beispiel zu bleiben, auf Basis von situations- und kontextgebundenen Einschätzungen eine Rezession abgeben, die umfassender ist als eine vorschnelle und oberflächliche Einschätzung. Authentizität leitet somit zum Reflektieren, zum Kontextualisieren an.
Indem man, selbst bei augenscheinlichen Widersprüchlichkeiten, es schafft vor sich anbahnenden Eskalationen zu reflektieren, einem anderen Menschen zuzuhören, erweitert man mit Anstand und Manieren seinen geistigen Radius und schärft somit einen gemeinschaftlichen Blick. Dieser ist es, der durch respektvollen Umgang geschürt, ein authentisches Selbstbild erschafft, das als solches auch durch andere wahrgenommen und respektiert werden. Authentizität ist an dieser Stelle eine Art gesellschaftliches Kit, das Zusammenleben und Zivilisation ermöglicht. Und hier befindet sich der Schlüssel zum Begriff der Freiheit. Durch die gemeinschaftliche Schaffung von gegenseitig anerkannten Authentizität, geprägt durch Individuen erzeugt man Freiräume, in denen ein jeder, unter den dargestellten Methoden, leben, wirken und arbeiten kann. Es liegt also an jedem Einzelnen, diesen Zustand im gemeinschaftlichen Kontext zu kultivieren und zu fördern.
Freiheit im eingewobenen Kontext
Wie eingangs angemerkt, sind begriffliche Demarkationen ungeeignet, um Freiheit von anderen Inhalten abzugrenzen. Daher sollte man versuchen, aus unterschiedlichen Blickwinkeln Betrachtungen zu finden, die je nach Kontext und individueller Auslegung passend sind. Das Bild eines Webstuhls könnte ein passendes Symbol bieten, um den Freiheitsbegriff zu noch einmal zusammenfassend zu verdeutlichen.
Das Arbeiten am Webstuhl ist eine Zunft, die der Mensch seit mehr als 2.000 Jahren ausübt. Es ist ein einfaches, aber fragiles System, bei dem die Weberin oder der Weber selbst bestimmend, mit Taktgefühl und Rhythmus die Fäden wie in einem Orchester dirigiert. Nur durch Geschick, Geduld und einem Blick für das gesamtheitliche Motiv gelingt, ein handwerkliches Meisterwerk.
Nun ist Freiheit, im begrifflichen Sinn, wahrlich kein klassisches Handwerk. Dennoch erfordert es ähnliche Eigenschaften wie beim Weben, um am Ende ein gelungenes Resultat zu erzielen. Unabhängigkeit, Autonomie, Persönlichkeit und Authentizität sind mögliche Fäden, die den Freiheitsbegriff zusammenhalten. Zum richtigen Verflechten bedarf es Fertigkeit, Achtsamkeit, aber auch Ausgeglichenheit und Gelassenheit. Als Traditionshandwerk kann es nur durch andere Menschen erlernt und weitergegeben werden.
Nun fragt sich der geneigte Leser sicherlich, warum dieses Begriffskapitel nun so umfänglich ausgestaltet wurde. Man könnte dies gut und gerne auch als philosophisches Geschwurbel abtun, das jedem Alltag, jeder Praxis abträglich ist. Nun, dem möchte ich im folgenden Kapitel begegnen und darlegen, warum Freiheit kein reiner Begriff ist, der inflationär und bedeutungslos verwendet werden sollte.
Kapitel 2 – Freiheit als Wert
Was ist wertig und durch welche Verfahren lässt sich ein Wert bemessen? Ist der Wert abhängig von subjektiven Urteilen oder gibt es einen gänzlich unabhängigen Wert?
Bevor man der Freiheit versucht einen Wert beizumessen, soll im Folgenden zunächst versucht werden diesen Fragestellungen nachzugehen. Es gibt zahllose Beispiele und Beziehungszusammenhänge zum Wertebegriff, jedoch lassen sich grundsätzlich zwei Wertsysteme festhalten.
Auf der einen Seite von Wert steht ein quantifizierbarer, ein in mathematischen Größen ausdrückbarer Werteraum. Eine physikalische oder mathematische Größe, der Preis einer Dienstleistung, oder der Wert einer Aktie sind allesamt Beispiele, die eine Rationalität der Dinge unterstellt. Der Wertebegriff wird hier relational verwendet, eben auch um themenübergreifende Vergleichbarkeit zu schaffen. Es gibt eine Vielzahl an berühmten Persönlichkeiten, die sich diesem Wertebegriff angenommen haben.
So soll der berühmte Pythagoras von Samos, der im sechsten Jahrhundert vor Christi lebte, einmal gesagt haben „Alles ist Zahl!“ (Jesberg 1987). Ob dieser bekannte Satz, der heute zuweilen als Kalenderspruch rezitiert wird, tatsächlich von ihm stammt, ist jedoch umstritten. Auch der Empiriker Galileo Galilei vertrat eine ähnliche Auffassung, indem er feststellte: „Man muß messen, was meßbar ist, und meßbar machen, was zunächst nicht meßbar ist“. Beide Aussagen bedienen sich einem quantifizierbaren Werteansatz, der die Welt grundlegend als messbar erkennt.
Dem quantifizierbaren Denkansatz gegenüber steht ein qualifizierbarer Wertebegriff, der in seiner Ausrichtung ideelle Betrachtungen zum Maßstab hat. Sittliche, ethische, moralische, erzieherische Auffassungen, gesellschaftliche Tugenden, der Wert von Frieden und die Abwesenheit von Leid, der Wert eines geliebten Menschen, oder der Wert von Vertrauen in einer gesunden Beziehung sind nur ein paar Beispiele hierfür. Hier bezieht sich Wert weniger auf eine relationale als vielmehr auf eine absolute Größe.
„Tue Gutes und rede darüber“ lautet der Buchtitel des Autors Georg-Volkmar Graf von Zedtwitz-Arnim, der 1978 mit seiner normativen Ausdrucksweise die Eckpfeiler für moderne Öffentlichkeitsarbeit gelegt hat (Zedtwitz 1961). Der in der Provence geborene Philosoph und Moralist Luc de Clapiers, Marquis de Vauvenargues deutet mit seiner Feststellung „Menschlichkeit ist die höchste Tugend“ eine Kardinaltugend an, die in aphoristischer Form seine Philosophie wiedergibt. In beiden Fällen handelt es sich um einen qualifizierbaren Denkansatz, der in keiner Weise objektiv notiert werden kann.
Es ist anzumerken, dass beide Wertesysteme jeweilige Stärken und Schwächen besitzen. Daher sollten beide Denkansätze nicht dichotomisch verstanden werden, sondern vielmehr sollten beide Perspektiven ihre Stärken ausspielen können und einander ergänzen, mit dem Ziel einen realistischen und ganzheitlichen Freiheitsbegriff abzubilden. Des Weiteren sei angemerkt, dass im Hinblick auf den quantifizierbaren Denkansatz es sehr spannend wäre zu verstehen, was moderne, neurowissenschaftliche Befunde hierzu beitragen können. Eine nähere Erörterung in dieser Hinsicht würde jedoch für diese Gedankenskizze zu weit fassen.
Dem folgend, soll der Wert von Freiheit sich im Folgenden hauptsächlich an einem qualifizierbaren Werterahmen orientieren. Hierzu sollen die folgenden Axiome dienlich sein.
1. Freiheit ist nicht frei verfügbar. Insbesondere der Mensch ist von seiner Geburt an gebunden und abhängig vom Wohlwollen seiner Mitmenschen und Umwelt. Früh-sozialisierte Einflüsse formen den Charakter, genau wie im späteren Lebensverlauf der eingebettete Sprach- und Kulturraum. Über all dem ist der Mensch nie frei von Naturgesetzen wie der Thermodynamik, Mechanik oder Gravitationsgesetzen. Demnach ist Freiheit etwas, das sich nicht von selbst konstituiert. Vielmehr obliegt es dem Menschen, den Freiheitsrahmen auf unterschiedliche Art und Weise jeweils neu zu schaffen und zu erhalten.
2. Freiheit konstituiert Grenzen. Diese zunächst widersprüchliche Eigenschaft kann sich als Grundpfeiler für Gesellschaften herausstellen. Denn, in jeder Gesellschaft definieren die Freiheiten des einen die Grenzen des anderen. Das gegenseitige Anerkennen und Ausloten von Grenzen setzt jedoch den Souveränitätscharakter der beteiligten Akteure voraus. Konfliktsituationen können gelöst werden, indem Grenzen anerkannt und unter Zuhilfenahme von vernünftigen Dialogen gemeinsam neu gedacht, verschoben oder im Idealfall für alle Beteiligen erweitert werden.
3. Freiheit ist nicht direkt wahrnehmbar. Mit Fokus auf das Individuum verhält es sich mit der Freiheit oft wie mit der menschlichen Gesundheit. Erst wenn ein spürbarer Verlust eintritt, wird der zugrundeliegende Wert wahrgenommen. Kleine, graduelle Schritte in eine Verlustzone führen selten zu Veränderungen, die der Situation zuträglich wären. Durch diese Intransparenz kann ein Gefühl der Selbstverständlichkeit oder gar Gleichgültigkeit entstehen.
4. Freiheit ist nur bedingt messbar. Wie eingangs bereits erwähnt, ist Freiheit eine sehr subjektive Sinneswahrnehmung, die intra- und intersubjektiv wahrgenommen werden kann. Dem Versuch folgend, der Freiheit eine Form der Messbarkeit abzuverlangen, soll in den folgenden zwei Parametern dennoch kurz umrissen werden.
Grundsätzlich fühlt der Mensch sich frei, sobald er eine gewisse Anzahl an Optionen zur Verfügung hat. Dieser Handlungsraum, in welchem dem Individuum eine Reihe an Alternativen zur Verfügung steht, kann eine messbare Komponente sein. Diese Alternativen sind gekennzeichnet durch einen komplexen Beziehungszusammenhang bestehend aus Erfahrungen, Intuitionen, rationalen Abwägungen, sowie externen Eindrücken, aus denen mehr oder weniger sorgfältig abgewogen werden kann.
Naturgemäß wird das Freiheitsempfinden nicht nur nach der Anzahl der gegebenen Optionen ausgelotet, sondern auch durch das Ermessen auf einer Zeitachse, der Dauer des Sinneszustandes. Hierbei kann sich eine flüchtige Momentaufnahme zu einem endlos langen Erlebnis ausdehnen, das auch nach seinem Erscheinen noch nachhallt. Eine spannende These vertritt der französische Philosoph Henri Bergson. In seinem Buch „Zeit und Freiheit“ legt er eindrucksvoll dar, dass die Erfahrbarmachung von Freiheit ein „Bewusstseinsphänomen“ darstellt, dessen Auffassung der Mensch nur als „dynamische Ganzheiten“ versteht (Bergson 2016). Symbolisch gesprochen erfährt der Mensch Freiheit, als etwas, das sich nicht durch Zeit konstituiert, sondern vielmehr als ein ineinander Fließen von Bewusstseinszuständen. Ein Fehlen von Unterscheidungsmöglichkeiten in Bezug auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erlaubt es dem Individuum somit nicht, seine Bewusstseinszustände zeitlich zu sortieren. Auch ein Vermessen und Vergleichen von Zuständen ist nicht möglich, da alle erfahrbaren psychologischen Effekte pure Qualitäten sind. Verdeutlicht wird diese Überlegung durch folgendes Zitat von Leszek Kolakowski, der schreibt: „The sensations of cold and heat do not differ from each other according to the degrees on a thermometer. All simple psychological effects are pure qualities.“ (Kolakowski 2001). Ob und wie Sinneswahrnehmungen, wie etwa Freiheit, messbar sind und wie dieses auf empirische Art belegt werden kann, lässt sich abschließend nicht eindeutig auf objektive Weise feststellen.
5. Freiheit ist kein Ziel (sondern ein Prozess). Für diese Annahme gibt der niederländische Philosoph Baruch de Spinoza einen interessanten Einblick. Er vertritt die Auffassung, dass frei sein immer einen fortwährenden Prozess von befreit werden, voraussetzt. Das heißt eben auch, dass sich Freiheit nicht per Dekret verordnen lässt, sondern immer eine Auseinandersetzung eines Individuums oder einer Gesellschaft mit anderen bedarf und stetig neu ausgelotet werden muss. In seinem Hauptwerk „Die Ethik“ umreißt Spinoza mit fast mathematischen Lehrsätzen die Omnipräsenz Gottes in jeder realen und metaphysischen Daseinsform. Seiner Auffassung nach kann der Mensch zwar tugendhaft handeln und sein Wirken mit Hilfe der Vernunft seinen Mitmenschen zugutekommen lassen, dennoch besitzt er hierbei keine Willens-oder Entscheidungsfreiheit. Stattdessen gleicht menschliches Handeln einem uhrwerkgleichen Regelwerk von Naturgesetzen. Freiheit steht hierbei im Zusammenhang mit menschlichen Affekten, welche es zu bändigen und zu kontrollieren gilt. Erst wenn es dem Menschen gelingt, seine in ihm veranlagten Affekte (zuweilen auch Leidenschaften) mithilfe der Vernunft zu bändigen, kann der Mensch sich selbst vervollkommnen und frei sein. Und obschon der Mensch nie eine echte Willensfreiheit besitzt, so besteht, nach Spinoza, die größte Freiheit des Menschen darin, Gott zu lieben „amor Dei intellectualis“.
Anhand des dargelegten, lässt sich festhalten, dass der Wert von Freiheit nur schwerlich objektivierbar und unabhängig ist. Freiheit setzt die stetige Interaktion mit anderen voraus, ohne die das Konzept Freiheit nicht möglich ist.
Wenn Freiheit nun nicht direkt wahrnehmbar, nicht absolut, nur bedingt messbar, kein Ziel darstellt und überdies auch noch einer Vielzahl an Kontingenten und Limitierungen unterliegt, warum sollte diesem abstrakten Gebilde nun überhaupt ein Wert zukommen? Was ist der Grund und was stiftet Anlass dieses komplexen Bewusstseinszustandes überhaupt so viel Wert beizumessen? Dies lässt sich einmal auf individueller und einmal auf gesellschaftlicher Ebene umreißen.
Wert der Freiheit für das Individuum
Grundsätzlich kann es dem Individuum gelingen, eigene Entscheidungen und Handlungen im Kontext zu den daraus erwachsenden Konsequenzen besser zu verstehen. Daraus folgt die Fähigkeit den eigenen Standpunkt und eigene Gedanken im Zeitablauf zu festigen, zu verändern, sowie die eigenen Freiheitkriterien, also das, was notwendig ist, um freiheitlich reflektieren zu können weiter zu verbessern. Das Verstehen der eigenen Entscheidungen, sowie die Reflexionsfähigkeit selbst, stellen einen wertvollen Beitrag eines Individuums im Rahmen seiner Weiter- und Höherentwicklung dar.
Frei sein heißt auch, den eigenen Handlungsraum und die damit verbundenen Entscheidungen verstehen und definieren zu können. Voraussetzung hierfür ist das angesprochene Unterscheidungsmerkmal zwischen Subjekt und Objekt, welches dem Subjekt eine sensible Interaktionsfähigkeit mit seiner Umwelt voraussetzt. Im Umkehrschluss bleibt zu erkennen, dass eine Verobjektivierung der Welt das Menschsein aberkennt. Oder wie es der französische Philosoph Emmanuel Mounier es formulieren würde „Unpersönlich ist nur die Materie“ (Mounier, 1936). Hierzu sei noch eine kurze Anmerkung zu den immer wieder aufflammenden Diskussionen der verheißungsvollen Innovation „Künstlichen Intelligenz“ angemerkt. Sollte eine Gesellschaft wünschen, den Menschen auf mathematische Parameter zu objektivieren, sozusagen einen gläsernen Menschen zu schaffen, erkennt man ihm früher oder später seine Freiheit als Subjekt und somit auf den Anspruch auf seine individuellen, menschlichen Eigenschaften ab. Programme und künstliche Intelligenzen besitzen keine Seele, keine Würde und nur bedingt erlernbare Empathiemöglichkeiten und können diese auch im Menschen weder messen noch wahrhaftig erfassen. Die derzeitigen Verheißungen der Künstlichen Intelligenz erscheinen daher eher wie ein faustischer Pakt zwischen Nützlichkeit auf der einen und die Abgabe von Freiheiten auf der anderen Seite.
Aus diesem Gedanken erwächst der Anspruch, die Aufgabe, die Hoffnung, die Verantwortung und das Privileg, dass derjenige, der frei sein will, auch gewillt sein muss, seine eigenen und zuweilen auch die Freiheiten anderer mit vernünftigen Mitteln zu schaffen und zu verteidigen. Um dies zu gewährleisten, sollte Freiheit als Mittel verstanden werden, Persönlichkeiten zu formen und durch Engagement zu beeinflussen. Dieser Prozess kann anstrengend und unbequem sein. Er setzt stets die Freiheit des anderen voraus, die als solche kein ewig geltendes Recht darstellt, sondern regelmäßig erstritten werden muss. Zuweilen kann es hierbei notwendig sein, bestehende monolithische Blöcke aufzubrechen, um der Gesellschaft als Ganzes dienlich zu sein.
Zuletzt sei ein Textauszug aus dem Jahr 1827 zitiert. In einem Briefwechsel zwischen Johann Wolfang von Göthe, der mit seinem Schüler Johann Peter Eckermann regen Kontakt pflegte, schreibt Göthe: „Nicht das macht frei, daß wir nichts über uns anerkennen wollen, sondern eben, daß wir etwas verehren, das über uns ist.“ Weiter fährt er fort: „Denn indem wir es verehren, heben wir uns zu ihm hinauf und legen durch unsere Anerkennung an den Tag, dass wir selber das Höhere in uns tragen und wert sind, seinesgleichen zu sein.“ (Krennbauer 1949). Göthe spricht hier über die Erfahrungen, die er insbesondere durch soziale Beobachtungen auf seinen Reise erfahren hat. Eine Erkenntniss in diesem Zusammenhang ist, dass Freiheit sich nicht ausschließlich durch Herkunft und Vergangenheit eines Einzelnen konstituiert, sondern insbesondere durch die Fähigkeit sich an etwas höherartigem zu orientieren und anzupassen. Angespielt wird hierbei nicht auf ein metaphysisches, göttliches Wesen, wie man es zunächst deuten könnte. Vielmehr geht es dabei um eine persönliche Höherentwicklung im intra- und intersozialen Sinne. Durch die Anerkennung der eigenen Grenzen sowie die Verehrung einer höheren Entität (z.B. ehrbarer Tugend, gesellschaftliche Anerkennung, kulturelle Gepflogenheiten, etc.) kann es dem Einzelnen gelingen, sich dieser Entität anzunähern. Der Prozess dorthin kann als gesellschaftliches Weiter- und Höherentwickeln verstanden werden, das dem Individuum, aber auch der Gesellschaft als Ganzes zugutekommen kann.
Wert der Freiheit für die Gesellschaft
Erweitert man den Kreis auf eine gesellschaftliche Ebene, so ergeben sich komplementäre Werte, die wie folgt umrissen werden.
Zunächst einmal, ist das Mitwirken eines Einzelnen, der Beteiligung an der Gesellschaft, der Arbeit mit der Gesellschaft ein zentraler Bestandteil. Es muss das Credo gelten, Freiheit nicht als Joch zu erfahren, sondern als eine Art merkantiles Gut (in seiner Eigenschaft zur Werthaltigkeit), dass es zu nähren gilt. In Abwägung zu anderen merkantilen Gütern, wie zum Beispiel der Sicherheit einer Gesellschaft, wird Freiheit, je nach Bedarf, Kontext und Zeitgeist permanent neu verhandelt. Als Konsequenz dieser Verhandlung ergeben sich Macht und Wohlstand. Hieraus ist darauf zu achten, dass das Abwägen, also das konstruktive Streiten zum Wohle vieler geht und nicht die Freiheiten von elitären, privilegierten Gruppen bevorzugt. Kleptokratische Verhältnisse, in denen ganze Gesellschaften zugunsten einer kleinen Minderheit ausgebeutet werden, vernichten nicht nur kreative, menschliche Potenziale, sondern besitzen auch keine nachhaltige Tragfähigkeit. Verhandlungspartner sind Institutionen, aber vor allem auch Einzelpersonen, die das Streitbare durch Ihre Persönlichkeit besonders hervorheben. Eine Gesellschaft, die keine streitbaren und verhandlungsstarken Persönlichkeiten hervorbringt, läuft daher Gefahr in das Diktat von automatischen, ökonomischen oder technokratischen Zwängen zu kommen. Eine Digitalisierungsstrategie, darf und muss sich daher einer Humanstrategie immer zuträglich sein, um den erarbeiteten Wohlstand und die möglichen Potenziale nicht zu gefährden.
Insbesondere im Rahmen einer globalisierten Wirtschafts- und Sozialordnung, deren technologisches Tempo ein Vielfaches größer ist als das gesellschaftliche, braucht es Staaten, die eine gesunde Abwägung zwischen Einmischung eines Staates und dem aktiven Mitwirken herstellen. Der in Riga geborene, politische Philosoph Sir Isajah Berlin formulierte dies in seinem Essay „Freiheit. Vier Versuche“, das 1969 erstmals in deutscher Sprache erschien, wie folgt: Negative Freiheit, also diejenige im Sinne einer Nichteinmischung begreifliche Freiheit, schafft staatlich garantierte Zusicherungsbereiche, in denen ein Individuum ungehindert agieren kann. Diesem steht die positive Freiheit gegenüber, die sich aus dem „Wunsch des Individuums“ ableitet „sein eigener Herr zu sein“ (Berlin 1969). Interessant an diesem Denkmuster ist nicht nur die Differenzierung des Freiheitsbegriffs oder gar die Frage, wie viel Freiheit ein jeder in der Gesellschaft erlangen kann. Vielmehr lenkt es den Blick auf einen ideellen Kontrollrahmen, auf die Frage nach, wer eine Gesellschaft, in Bezug auf die Freiheit, wie steuern darf. Und mehr noch, der Einzelne wird durch diese Demarkation aufgefordert, proaktiv am Aushandlungsprozess von Freiheit mitzuwirken.
Abschließend soll festgehalten werden, dass Freiheit in einer funktionierenden Gesellschaft nicht als isolierte Komponente einer gesellschaftlichen Funktion gesehen werden sollte. Vielmehr ist Freiheit ein merkantil-ähnliches Verhandlungsgut, das stets als fragiles und wertstiftendes Element anzusehen ist. Denn es ist genau jenes merkantile Element, das dem Freiheitsbegriff zu einem Freiheitswert verhilft. Gesellschaftliche Systeme, in denen die individuelle Freiheit des Menschen nicht viel mehr gilt als eine gut platzierte Werbebotschaft, erfährt in der näheren Binnensicht höchstwahrscheinlich einen wertlos gelebten, stressbelasteten Eindruck von Freiheit. Genährt durch zielgerichtete Falschinformationen entstehen zusätzlich, möglicherweise unsichtbare Informationskäfige, in denen leicht der Eindruck von Indifferenz entstehen und in der Konsequenz schnell zu einem Kontrollverlust von ganzen Gruppen führen kann.
Dieses Kapitel möchte daher mit einem kurzen und prägnanten Plädoyer enden, sich diesen Gefahren stets bewusst zu sein. Der freiheitliche Wert einer Gesellschaft kann als nicht hoch genug und das eigene Handeln als nicht zu geringwertig angesehen werden. Es gilt, die unsichtbaren Käfige, um uns herum abzubauen, kritisches Denken zu bestärken und einen wachen Geist zu bewahren.
Hierauf soll im dritten und letzten Kapitel, Freiheit als Lebensstil, näher eingegangen werden.
Kapitel 3 – Freiheit als Lebensstil
Sich dem Versuch widmend, das Vorangegangene in einen Lebensstil zu kleiden, welcher sowohl ideellen als auch alltäglichen Ansprüchen genüge tut, soll vorab das grundlegende Gedankengebäude umrissen sein, in welchem sich Freiheit als Lebensstil ausbilden kann. Hierbei besitzen weder die vorgestellten Konzepte noch die Methodik der Ausarbeitung Anspruch auf wissenschaftliche Validität. Vielmehr soll versucht werden, geeignete Gedanken zu Rate zu ziehen, die als Bausteine in das Gedankengebäude eingefügt werden können, um ihm so eine fundierte Substanz zu verleihen.
Beginnen wir mit der bildhaften Darstellung des Feuers aus der Einleitung. Der Funke, der zur Flamme und schließlich zum Feuer wird, bildet gewissermaßen individuelle Denk- und Handlungsmuster ab. Bevor nun erörtert wird, was ein geeigneter Lebensstil sein kann, soll dargestellt werden wie man sich diesen, unter Berücksichtigung subjektiver Eigenheiten, erarbeiten kann. In aufeinanderfolgenden Schritten sollen die Begriffe Wille, Verstand und Handeln dargestellt und zum Bild des entstehenden Feuers zugeordnet werden.
Der symbolische Funke, der auch als Wille eines Individuums verstanden werden kann, geht hierbei einer Ratio, also einer vernünftigen Analyse, sowie einer nachfolgenden Handlung voraus. Dieser Gedanke folgt sinnbildlich der Denkweise einer der wohl bedeutendsten Philosophen des 18. Jahrhunderts, Arthur Schopenhauer. Für den Begründer der Erkenntnistheorie war klar, dass Wille der gedankliche Herr eines jeden Menschen ist und der Verstand der untergeordnete Knecht, der dem Willen zu dienen hat. Es ist gerade der Wille, der nicht als bewusstes Handeln anerkannt werden kann, sondern als unmittelbarer Lebenstrieb, ähnlich dem eines Lebensfunken. Nun knüpft sich hierbei die Frage an, woher dieser Wille tatsächlich entstammt, und man könnte dies grob in die Kategorien bewusst und unbewusst untergliedern.
Ein unbewusster Wille, grenzt sich insofern von einem bewussten Willen ab, als dass er noch unbenutzt ist. Genauer gesagt, wäre nach Siegmund Freud ein unbewusster Wille jener, der noch keinen Reizen ausgesetzt wurde. Ein bewusster Wille hingegen, wurde bereits verarbeitet und vom Individuum entsprechend abgelegt. Vielleicht spielt es, in Anbetracht der vielen Erkenntnisslücken, auch weniger eine Rolle, ob ein Wille nun bewusst oder unbewusst ist. Was wesentlich erscheint ist, dass der Wille eine Instanz vor der menschlichen Ratio, der Vernunft besitzt.
Als Flamme markiert, dient im Weiteren nun der Verstand als Prüfinstanz des vorangegangenen Willens. Als eine Art innerer Kontrolleur, der versucht den Willen in ein bestehendes Gedankenmuster einzusortieren, wird hier eine kritische Würdigung vorgenommen. Der Verstand ermöglicht unter es, das Erlebte mit dem bereits Erfahrenen abzugleichen, einzuschärfen, neu zu denken, Schlüsse zu ziehen, zu urteilen und all dies unter Zuhilfenahme von rationalen Kräften. Hierbei entsteht nicht selten die Fähigkeit eines vernunftbeseelten Denkens, dem es gelingt, eine innere Führung zu vollziehen. Das Ergebnis dieses Prozesses, in seiner Gesamtheit, kann als Charterzug sichtbar gemacht werden. Erfahrbar wird dieser Charakterzug durch die Harmonie zwischen Standfestigkeit auf der einen und Duldsamkeit auf der anderen Seite. Wenn also, trotz widriger Umstände das Individuum in der Lage ist standfest in seinem Charakter zu bleiben und es schafft mit Hilfe einer gewissenhaften Gelassenheit sich als duldsam zu erweisen, so kann einem eine innere Führung des eigenen Lebens gelingen.
Nun zum Bild des Feuers, welches dann entsteht, wenn die eigene innere Flamme zu brennen beginnt. Unerlässlich in dieser Vorstellung ist das eigene Handeln, die Tat, die Umsetzung, derer es bedarf, um das Feuer dauerhaft am Leben zu halten. Um zu verhindern, dass sich das innere Feuer ungehindert ausbreiten kann und Übles anrichtet, bietet sich das Bild einer Fackel an, die vom Individuum getragen wird. Ein wesentliches Merkmal hierbei ist der erleuchtende Charakter der Fackel, der dort Erleuchtung, neudeutsch „Enlightenment“ darbringt, wo sonst Dunkelheit herrscht. Das Ausleuchten erhält somit eine Form der spirituellen Sinndarbietung, in dem das gespendete Licht durch gutes Handeln die Dunkelheit zu verdrängen versucht und so das Üble abwehrt. Hierbei spielt es zunächst keine Rolle welche Verantwortung jemandem zugeschrieben wird, denn es gilt der Grundsatz von Immanuel Kant, der versucht hat eine objektive Betrachtung von Gut und Übel aufzuzeigen. Dies geschieht, indem er den Menschen als gut ansieht, weil er bestrebt ist gut sein zu wollen, als vielmehr a priori gut zu sein. Mit anderen Worten ist es nicht wesentlich, ob der Mensch von Natur aus gut ist. Vielmehr ist er gut, weil er Mensch ist und eine Menschenwürde besitzt, die ihn dazu verpflichtet gut zu sein.
Ähnlich formulierte es der in Mirandola geborene Philosoph Giovanni Picco in seinem Aufsatz „Über die Würde des Menschen“ indem er sagt, dass es das Wesen des Menschen ist frei zu denken und zu handeln. Diese Freiheit gilt als eine Aufgabe, eine Pflicht und eine Verantwortung gegenüber seinen Mitmenschen, der Kultur und der Tradition. In das skizzierte Bild übersetzt, bedeutet dies nicht weniger als die innere Fackel zu erleuchten, zu tragen und weiterzugeben. Letzteres erlaubt es einem nicht nur selbst seinen Platz in der Welt zu finden, sondern auch anderen die Möglichkeit einzuräumen ihre Fackel zu entflammen, aufzunehmen und zu leben.
Nun soll nicht der Eindruck entstehen, dass die gelebte Form der Freiheit, der eines Bonvivant gleicht, der sich nur den angenehmen Seiten des Lebens widmet. Umgekehrt bedeutet das Aufnehmen der inneren Fackel auch nicht einzelkämpferisch oder nach dem Vorbild Epikurs vollumfänglich verzichtsübend sich durch sein Leben zu schlagen. Vielmehr besteht das Lebensideal der Freiheit in einer Art zwischenmenschlichem Diskurs statt, der dem Fundament einer Gesellschaft dienlich ist. Folgerichtet definiert sich der Stil der Freiheit nicht als egozentrischer, sondern als ein gemeinschaftsbezogener Lebensstil. Als Werkzeug und im Rahmen von demokratischen Prozessen, stiftet Freiheit Denkkraft und Innovation. Diesem Prozessen obliegt in gewisser Weise eine Gewaltenteilung zugrunde, welche die Freiheit des Einzelnen nur dann kontingentiert, sobald die Freiheit eines anderen eingeschränkt wird. Erweitert bedeutet dies auch, dass Freiheit nicht die Abwesenheit von Zwängen oder Limitierungen ist, sondern vielmehr das Recht eines Einzelnen darstellt, die Rechte, und somit auch die Freiheit anderer, zu schützen, um damit gesellschaftliche Zustände zu verbessern.
Hierbei sollte der freiheitliche Lebensstil auch immer bedenken, dass Freiheit als bedrohliche Kraft wirken kann. Dies kann in zwei polaren Ausprägungen geschehen, welche selbstverständlich auch volatile Zwischenzustände besitzen. Zum einen wenn Freiheit ohne soziale Interaktion stattfindet. Nach Georg Wilhelm Friedrich Hegel wäre dies eine „Freiheit des Imperators“. Hier würde der Mensch seinen freiheitlichen Lebensstil nutzen, um nicht nur seinen eigenen Willen durchzusetzen, sondern auch ganz bewusst gegen den Willen seiner Mitmenschen vorgehen. Zum anderen, wenn der freiheitliche Lebensstil als Negation verstanden wird, in dem eine anarchische Umgebung geschaffen und Freiheit als Freifahrtschein für unmoralischen Handeln verstanden wird. Hegel interpretiert dies als eine revolutionäre, gar eine fanatische Form der Freiheit.
Der moderne Zeitgeist des 21. Jahrhunderts lässt in den westlichen Industriestaaten leider beide Ausprägungen als Gefahren erkennen. Während zum einen die Angst vor freiheitlichen Zuständen, genährt durch mangelnden Mut, Haltung und selbstständigem Denken einhergeht, lässt die Absolutierung von Freiheit viele Menschen überfordert zurück. Freiheit im Rahmen eines freiheitlichen Lebensstils sollte zwischenmenschliche Bindungen fördern, einen entschlossenen Geist wecken, der auch Mut zur Entscheidung begünstigt, aber dennoch duldsam ist und Andersdenkende nicht ausgrenzt, sondern verständnisvoll anhört. Im Kern ist dies eine Form der inneren Freiheit, welcher keine Ausprägung von Getriebenheit besitzen sollte. Statt vor etwas davonzulaufen, selbst wenn einem die Mittel und Freiheiten zur Verfügung stehen, sollte ein freiheitlicher Lebensstil davon geprägt sein, die eigenen Herausforderungen zu bewältigen. Dies beinhaltet unter anderem auch anderen zu helfen, in dem man einer stromlinienförmigen Denkkultur mit kritischem Blick entgegenwirkt.
Hans-Georg Gadamer schreibt in seinem Hauptwerk Wahrheit und Methode: „Am anderen entsteht ein selbstständiges Bewußtsein; am Können wächst ein eigenes Selbstgefühl; in der Erhebung zur Allgemeinheit bildet der Mensch sich selbst“ (Gadamer 2007). Dieser Dreiklang deutet die Richtungen an, in die ein freiheitlicher Lebensstil aus dem Menschen heraus wirken kann. Zunächst entsteht im Dialog mit anderen und der inneren Reflexion, ein in sich schauen, ein bewusstes Sein, welches dann nach außen getragen wird. Verdeutlicht durch das Können, ist der Mensch in der Lage sich selbst, in umsichtigerweise, sich selbst nach außen zu tragen. Durch die Erhebung und dem verbundenem Blick nach oben bildet der Mensch sich selbst ab, indem er geistig in anderen fortlebt.
Da Freiheit auf unterschiedliche Art und Weise erfahrbar gemacht wird, im Kern fluide und situativ ist, wirken sich die Sinneswahrnehmungen auch unterschiedlich auf den eigenen Lebensstil aus. Wer empfänglich für Musik und rhythmische Klänge ist, wird unter Umständen einen eher ruhigeren Lebensstil wählen oder umgekehrt genau dies als Ausgleich nehmen. Wer hingegen ein freiheitliches Lebensgefühl durch körperliche Verausgabung erfährt, wird vermutlich eine eher vitalere Lebensart pflegen. Eine lange Wanderung, das Erklimmen eines ersehnten Berggipfels, eine gelungene Drehung beim Tanz oder das kraftvolle Gefühl auf einem Pferderücken im Galopp durch den Wald zu jagen sind allesamt Zeugen dieses Eindruckes.
Ganz anders kann es jemand ergehen, der Freiheit durch das Besitzen von materiellen Gütern erfährt, also durch vermeidliche äußere Freiheiten. Jedoch ist bei dieser Form Vorsicht geboten, denn schnell wechseln Besitzer und Eigentum ihre Rollen und dann ist das Nachjagen nach dem materiellen Mehr irrtümlicherweise wesentlicher als die Konzentration auf das Vorhandene. Der Gründer der französischen Zeitschrift Esprit, Emmanuel Mounier, sagte hierzu einmal sinngemäß, dass man Menschen ihre Freiheit nicht von außen durch Materielles oder Privilegien geben kann. Denn dann würde man inmitten der Freiheit einschlafen und als Sklave aufwachen. Ein freiheitlicher Lebensstil zeichnet sich durch den geschickten Umgang mit Materiellem, aber nicht durch Materielles aus.
Eine letzte Form der Freiheit im Kontext eines freiheitlichen Lebensstils besteht auch in der Erfahrbarmachung durch das Wegräumen von Hindernissen, Grenzen und Konventionen im Zuge eines Aktes der Befreiung. Der deutsche Rockmusiker Marius Müller-Westernhagen hat in seiner Komposition „Freiheit“ im Jahr 1988 das Lebensgefühl beschrieben, das viele Deutsche am 9. November ein Jahr später, durch den Fall der Berliner Mauer, gespürt haben. Auch wenn das musikalische Werk ohne den Bezug zum sozio-politischen Ereignis komponiert wurde, so hat es dennoch vielen Menschen Kraft und Hoffnung gespendet, was unter Umständen zunächst innere Mauern abgebaut hat, um im Anschluss reale Grenzmauern niederzureißen.
Da dieses Kapitel, aufgrund seiner Beschaffenheit sehr an tugendhafte Ideale erinnert, soll an dieser Stelle bezugnehmend auf diese Betrachtung noch eine kritische Würdigung vorgenommen werden. In dieser Gedankenskizze soll klar vermieden werden eine Tugendethik einzuführen, nach der dogmatisch gelebt werden soll. Dem Versuch folgend Gedankenanstöße zu liefern, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, sollen vielmehr Charaktereigenschaften hervorgehoben werden, die nicht universal bei jedem Einzelnen veranlagt oder ausgeprägt sind. Das Bestreben diese Eigenschaften im Laufe eines Lebens zu verbessern, soll nicht per se als Imperativ verstanden werden, sondern vielmehr als Überlegung mit sich und seiner Umwelt in Reflexion zu treten. Sollte nach einer inneren Reflexion der Wunsch entstehen sich der ein oder anderen, tugendartigen Eigenschaft zu verschreiben, gebietet sich Vorsicht. Denn zum einen bedarf es permanenter Arbeit an sich selbst um nicht Gefahr zu Laufen sich durch neue, identitätsstiftende Merkmale von seiner Umwelt abzukapseln. Zum anderen schafft tugendhaftes Verhalten auch Vulnerabilitäten.
Ein realistisches und ergänzendes Gegenstück, um dieser Kraft entgegenzuwirken, sind neben der inneren Reflexion auch sogenannte Strategeme. Ein in Europa weniger verbreiteter Gedanke über Strategeme, direkt übersetzt mit Kriegslist, scheint zunächst als Gegenspieler von tugendhaften Verhalten aufzuwarten. Da List und listiges Verhalten nur einseitig betrachtet und somit negativ konnotiert sind, erscheint es der Tugend abträglich zu sein. Bei genauerer und mehrdimensionaler Betrachtung hingegen wird offensichtlich, dass es gerade das Verstehen und Durchdringen von List ist, die den Menschen im alltäglichen, tugendhaften Dasein unterstützen kann. Nur wer listiges Verhalten richtig deuten kann, wird in der Lage sein, tugendgestützte Denkmuster anwenden zu können. Dies gilt in Hinblick auf passives, aber auch auf aktives Listverhalten. Somit sind strategemische Tugenden oder tugendhafte Strategeme je nach Situation ein wertvoller Beitrag im Rahmen eines freiheitlichen Lebensstils.
Zum Abschluss dieses Kapitels und damit auch des Themas Freiheit, möchte ich dem geneigten Leser zusammenfassend die folgenden Worte mit auf den Weg geben, dir mir sehr einprägsam erscheinen und bei dem ein oder anderen vielleicht in die Psyche eingehen wird:
Freiheit ist ein vernünftiges und kluges Wagnis, vom Funken, über die Flamme, zum Feuer, bis zu einem selbst.
Wachse durch andere Menschen und dadurch zu dem der Du bist.
Von Herzen wünsche ich jedem die Kraft und den Mut dieses Ziel zu erreichen.
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